Ein Besuch in der Marienkirche Berlin

Wenn mir in meiner Wohnung die Decke auf den Kopf fällt mache ich mich von meinem nordöstlichen Außenbezirk auf in die Stadtmitte. So auch heute. Bewaffnet mit Wasserflasche, Thermoskanne voller Kaffee und E-Zigarette bestieg ich die Straßenbahn Richtung Berlins Mitte. Nach einem Abstecher in den Prenzlauer Berg steuerte ich den Alexanderplatz an, um in Ruhe meinen Kaffee zu trinken und mich von meinen Mitmenschen, die wie ich das milde Wetter nutzten, um in der Stadt unterwegs zu sein, zu erholen.

Am Alexanderplatz angekommen fiel mir die Marienkirche ins Auge und ich erinnerte mich das vor einigen Jahren ein Besuch nicht nur lohnend sondern auch kostenlos war. Wichtig für einen Erwerbsminderungsrentner wie mich mit sehr wenigen finanziellen Mitteln. Also hielt ich darauf zu.

Gerade als ich an dem imposantem Gebäude, immerhin eine der ältesten Kirchen Berlins, ankam verließen mehrere Menschen in an sorbische Trachten erinnernde Kleidung die Kirche. Und mich beschlich das Gefühl jetzt in eine für mich als Atheisten fremde Welt einzutauchen.

Im Vorraum befand sich eine gut vor dem Publikum geschützte mittelalterliche Wandmalerei, für dessen Restaurierung in der Kirche selbst Spenden gesammelt werden. Vor meinem geistigen Auge zogen mittelalterliche Kerzenträger und Geistliche gefolgt von Mägden und mittelalterlichen Bürgern vorbei. Ich verlor mich etwas in der Vorstellung zu dieser Zeit gelebt zu haben.

So klein der Vorraum auch war, so imposant hoch und weit breitete sich der Hauptraum der Kirche im Gegenzug vor dem Auge des Besuchers aus. Ich zog meine Mütze vom Kopf und schaute mich um. Ganz vorn dieses Riesenraumes stand der prunkvolle Altar, mittig dahinter breiteten sich Bänke aus, die Wände rechts und links sind mit Gemälden und historischen Grabschriften bedeckt und am Ein- bzw. Ausgang befinden sich etliche Flyer, ein unfertiges Mosaik dessen Hintergrund ich nicht ergründen konnte und Spendenboxen. Auch Kerzen kann man hier stiften. Mich erstaunte das hier niemand aufpasste, auch kostenpflichtige Broschüren lagen neben der für sie vorgesehenen Geldbox unbeaufsichtigt herum. Hier glaubt man also noch an das Gute im Menschen, ein recht schöner Gedanke.

Plötzlich erklang ein Männerchor und ich bekam Angst in irgendeine Zeremonie hereingeplatzt zu sein. So setzte ich mich auf die hinterste Bank und beobachtete die Szenerie. Der Klang von ungefähr 12 Männerstimmen drang durch den Raum und erfüllte die Kirche ungemein festlich. Ich erkannte das hier eine Art Chorprobe stattfand, denn nach den Männern traten auch Frauen durch eine kleine Tür in den Raum und begannen ebenfalls zu singen. Später sangen sie zusammen. Es war unglaublich, ihre Stimmen klangen durch den Hall der Kirche im wahrsten Sinne des Wortes himmlisch. Ich traute mich kaum mich auf meiner Bank zu bewegen um diesen perfekten Moment nicht zu stören. Auch die anderen Besucher lauschten wie gebannt auf den Bänken oder bewegten sich sehr vorsichtig und leise durch die Kirche. Dadurch entstand eine durch und durch andächtige Atmosphäre.

Als der Chor scheinbar Organisatorisches klärte schaute ich mir die Gemälde und Grabschriften an. Es sind sehr schöne Gemälde, das sage ich als Kunstbanause, sicherlich sehr alt. Natürlich haben die Gemälde alle kirchlichen Bezug, auf den meisten ist eine Kreuzigungsszene. Aber auch die Grabschriften sind sehr interessant. Zumindest für wichtige Menschen wurden im 16. und 17. Jahrhundert noch halbe Romane zum Geleit mitgegeben hatte ich das Gefühl. Die meisten sind noch kunstvoll verziert.

Angefüllt mit einer wohltuenden Ruhe und seltsam erholt verließ ich die Marienkirche wieder. Draußen schlug mir wieder die Hektik Berlins entgegen und mir wurde jetzt erst klar wie beruhigend der Besuch der Marienkirche war. Ich nahm noch die Information über mittägliche Orgelmusik an zwei Tagen in der Woche mit und stürzte mich wieder in das Hauptstadttreiben. Gewiss werde ich demnächst die Marienkirche wieder aufsuchen, auch wenn man sicher nicht jeden Tag das Glück einer Chorprobe hat lohnt sich die beruhigende Erhabenheit dieses historischen Ortes, der einen für eine Weile in eine andere Zeit eintauchen lässt und so eine Oase in dieser hektischen Zeit darstellt.

Knollo